Mittwoch, 14. Februar 2007

Shabd (2005)

Zur Story: Der einst gefeierte Schriftsteller Shaukat Vashisht (Sanjay Dutt) steckt in einer Krise: Kritiker und Leser haben seinen Büchern zuletzt mangelnde Realitätsnähe vorgeworfen. Doch nach zwei Jahren scheint Shaukat seine Schreibblockade überwunden zu haben und setzt sich, zur Freude seiner Frau, der Universitäts-Dozentin Antara (Aishwarya Rai), endlich wieder an seine Schreibmaschine. Vor seinen Augen entsteht als Heldin seines neuen Buchs Tamanna (= desire), der Shaukat Züge von Antara verleiht. Diesmal will er nahe an der Realität bleiben und ermuntert Antara, das Leben zu genießen, selbst als der junge Fotografie-Professor Yash (Zayed Khan) sie offen umwirbt. Immer mehr werden Fiktion und Realität für Shaukat eins, immer mehr glaubt er, die Fäden in der Hand zu haben und das Schicksal anderer schreiben zu können. Als Antara das Ausmaß seiner Schizophrenie bewusst wird, klärt sie Yash endlich darüber auf, verheiratet zu sein, und versucht, Shaukat in die Realität und zu ihrer Liebe zurückzuholen. Doch stattdessen treibt sie ihn damit ungewollt endgültig in den Wahnsinn...

„What is reality?“ Diese Frage zieht sich durch den gesamten Film Shabd (= Worte), und Leena Yadav macht es dem Publikum in ihrem Debütfilm als Regisseurin keineswegs leicht, diese Frage zu beantworten. Wo endet die Realität, wo beginnt die Fiktion bzw. umgekehrt? Shabd ist - ich nehme es gleich einmal vorweg - ein hervorragender und hochinteressanter Film. Es passiert selten, dass ein Film mich derart in seinen Bann zieht und am Schluss wie geplättet zurücklässt wie Shabd. Das hat so zuletzt eigentlich nur Raj Kapoor mit seinen 40er/50er Jahre-Filmen geschafft, obwohl diese Filme und Shabd natürlich zwei völlig unterschiedliche Kategorien sind. Aber die Wirkung auf mich war ähnlich. Die Stilmittel - vor allem die "schneienden" und später rot werdenden Buchstaben - mögen nicht jedermanns Sache sein; mich haben sie fasziniert, weil sie zu der geheimnisvoll-künstlichen Atmosphäre der Handlung passten. Ein Schriftsteller ersinnt eine Geschichte, glaubt sie in der Hand zu haben, durch seine Fiktion die Realität zu schreiben und damit zugleich auch uns und unsere Sichtweise zu lenken. Umso verstörender kam dann das Ende, das auch mich beinahe in den Wahnsinn getrieben hätte. Erst beim nochmaligen Ansehen habe ich die Subtilität von Antaras Experiment begriffen, was jedoch an der irrsinnig starken Wirkung des Finales nichts ändert. Was Yadav, Rai und Dutt da geleistet haben, ist allererste Klasse.

Getragen wird der Film von einer schauspielerischen Bravourleistung Sanjay Dutts. Seit Saajan hat man ihn nicht mehr in einer derart ruhigen und verinnerlichten Rolle erlebt - weit entfernt sowohl von seinen Bhais und Gangstern als auch von seinen Munnabhais. Sanju hat in Interviews mehrfach seine Dankbarkeit geäußert, diese hochspannende Figur spielen zu dürfen, und wenn man weiß, wie sehr ihm an einer möglichst breitgefächerten Vielfalt seines Rollenrepertoires gelegen ist, glaubt man ihm das sofort. Shaukat ist wahrscheinlich seine bislang anspruchsvollste Rolle, und er gestaltet sie mit sehr viel darstellerischem Feingefühl. Die allmählich aufkeimende Schizophrenie wird umso glaubwürdiger, da Sanjay sie eben wirklich Schritt für Schritt in sein Spiel einfließen lässt und seine emotionale Energie bewusst zügelt, bis diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht - um sie danach umso wirkungsvoller zum Ausbruch zu bringen: in seiner Szene mit Antara auf dem Felsen, bei seiner flehentlichen Bitte an sie, ihm zu beweisen, dass Realität und Fiktion eben nicht eins sind, weil diese von ihm erdachte Realität für ihn immer qualvoller wird, und am Ende, als er bei Antaras diesbezüglichem Versuch buchstäblich durchdreht.

Auch Aishwarya Rai ist großartig. Sie verdient sich mehr und mehr meine Anerkennung für ihren Mut bei der Auswahl ungewöhnlicher Filmrollen außerhalb des Mainstreams. In Shabd beweist sie einmal mehr, dass sie nicht nur eine Schönheitskönigin und tolle Tänzerin ist, sondern eben auch eine ernstzunehmende Schauspielerin. Sie verleiht der zwischen ihrem älteren Ehemann und ihrem jüngeren Anbeter stehenden Antara eine Glaubwürdigkeit, die niemanden daran zweifeln lässt, dass ihre Liebe bis zuletzt unverbrüchlich Shaukat gehört. Sanju und Aishwarya harmonieren hervorragend zusammen; ihre gemeinsame Bettszene - o ja, eine solche gibt es, und sie zeigt Sanjus nach wie vor blendenden Body mit wunderbaren Tattoos auf den Schulterblättern - ist sehr dezent und geschmackvoll gefilmt und wirkt dadurch ungemein gefühlvoll und erotisch.

Zayed Khan kann mit der geballten Power seiner beiden Co-Stars zwar nicht mithalten, aber er ist ein liebenswerter Sympathieträger, und mehr wird in diesem Film auch gar nicht von ihm verlangt. Die restlichen Mitwirkenden sind, mit Verlaub, unwichtig. Shabd ist ein ausgewiesenes Kammerspiel, ähnlich wie Saajan – nur dass Saajan wirklich noch eine veritable Dreiecksgeschichte zwischen einer Frau und zwei Männern war, während es Shabd eigentlich nur noch um Shaukats (Geistes-)Welt geht, in der er seine geliebte Frau und einen ihm völlig fremden jungen Mann zu Spielfiguren in seinem Roman macht und über die von ihm intendierte und ihn zugleich quälende Gleichstellung von Realität und Fiktion immer mehr in die Schizophrenie und am Ende in den Wahnsinn abgleitet.

Wie gesagt: ein irre guter Film, der sich vielleicht nicht jedem auf Anhieb erschließt, der jedoch niemanden unberührt lassen dürfte. (Und wer Sanjay Dutt und vor allem seine facettenreiche Stimme mag, sollte sich zudem den Soundtrack zulegen, den er durch Textrezitationen innerhalb der Songs bereichert.). Welcome to Shaukat’s World!

Produktion: Pritish Nandy, Rangita Pritish-Nandy; Regie: Leena Yadav
137 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Songs), einige wenige Stellen sind nicht untertitelt
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